Zentrales Thema: Darm
Die Schaltzentrale unseres Körpers mag an oberster Stelle, im Gehirn, positioniert sein. Wichtige Entscheidungen treffen wir aber trotzdem gerne âaus dem Bauch herausâ. Wer seine innere Mitte gefunden hat, den kann nichts so leicht umwerfen. Da ist es eigentlich erstaunlich, dass ebenjener Mitte im alltĂ€glichen Leben so wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Die bedeutende Rolle, die unser Bauch fĂŒr unsere Gesundheit spielt, wird oft erst dann offenbart und geschĂ€tzt, wenn er sich bemerkbar macht.
Denn in unserem Magen-Darm-Trakt passiert viel mehr, als dass nur Nahrung âhindurchgeschobenâ wird. Hier laufen unzĂ€hlige FĂ€den zusammen und jede Sekunde so viele Prozesse ab, dass es ein kleines Wunder ist, wie wenig wir davon mitbekommen. Wenn die innere Balance dann aber einmal aus dem Gleichgewicht gerĂ€t, kann sich das an unterschiedlichster Stelle auswirken. Denn viele Regionen des Körpers hĂ€ngen auf ungeahnte Weise mit unserem Darm zusammen. Hier ist die Verdauung nur der Anfang einer langen Liste, die ĂŒber das Immunsystem, die Haut und sogar bis hin zu Psyche und Emotionen reicht.
Aufbau des Magen-Darm-Trakts
Was genau meinen wir denn nun, wenn wir von unserer âMitteâ, vom Magen-Darm- oder Gastrointestinaltrakt sprechen? Dieser fĂŒr den Körper so zentrale Bereich beginnt mit der Speiseröhre, fĂŒhrt durch den Magen, von dort in den DĂŒnn- dann weiter in den Dickdarm und endet schlieĂlich mit dem Anus. An der tĂ€glichen Arbeit des Darms maĂgeblich beteiligt sind auch die VerdauungsdrĂŒsen: Leber und Gallenblase sowie die BauchspeicheldrĂŒse. Zusammen mit der Magenschleimhaut produzieren sie die wichtigen VerdauungssĂ€fte, die unsere Mahlzeiten aufspalten und dafĂŒr sorgen, dass Makro- und MikronĂ€hrstoffe vom Körper auch aufgenommen werden können.
Durch seine vielen Schlaufen und Windungen tĂ€uscht unser Darm gerne ĂŒber seine tatsĂ€chliche GröĂe hinweg. Komplett ausgebreitet, schĂ€tzt man die OberflĂ€che des gesamten Verdauungstrakts auf 200 bis 300 mÂČ ÂÂâ also ungefĂ€hr die GröĂe eines Tennisfelds. Der DĂŒnndarm trĂ€gt mit seiner LĂ€nge von bis zu 5 Metern den Hauptteil zu dieser unglaublichen FlĂ€che bei. Damit die NĂ€hrstoffe optimal aufgenommen werden, ist die DĂŒnndarmschleimhaut mit unzĂ€hligen winzigen Ausbuchtungen â sogenannten Zotten â versehen. Diese kleinen UnregelmĂ€Ăigkeiten sind es auch, durch welche die Darmschleimhaut ihre enorme OberflĂ€che erlangt.
Die Rolle der Darmbakterien
Bei einem Organ diesen AusmaĂes ist es kein Wunder, dass hier ganz schön was los ist. Ăber 400 verschiedene Bakterienspezies tummeln sich in unserem Darm und bringen dabei bis zu 2 Kilogramm auf die Waage. Hier hat der Dickdarm bezĂŒglich der Bakterienvielfalt deutlich die Nase vorn â sprechen wir von der âDarmfloraâ oder dem âMikrobiomâ, ist fast immer die bakterielle Besiedelung des Dickdarms gemeint.
Die mikroskopischen Bewohner, die sich in der Darmschleimhaut so wohlfĂŒhlen, haben vielfĂ€ltige Aufgaben: Sie sind an der Verdauung beteiligt, produzieren verschiedene Stoffe und schĂŒtzen den Körper vor Infektionen, indem sie die Ausbreitung von Krankheitserregern verhindern. Oft wird dabei von âgutenâ aber auch von âschlechtenâ Darmbakterien gesprochen. Wie so oft kommt es auf die richtige Balance an.
Denn stimmt das VerhĂ€ltnis zwischen den gesunden (z.B. Lakto- und Bifidobakterien) und den potenziell problematischen (z.B. Kolibakterien) Bakterienarten im Darm, lĂ€uft alles rund. Ist das Gleichgewicht gestört, können die nĂŒtzlichen Sorten ihre schwierigen Mitbewohner nicht mehr in Schach halten und die sonst gut geölte Maschine Darm kommt ins Stottern. Das wirkt sich dann nicht nur auf die Verdauung aus, sondern kann sich auch in ganz anderen Regionen des Körpers bemerkbar machen â etwa in Form eines geschwĂ€chten Immunsystems, eines Harnwegsinfekts oder Hautproblemen.
Der Darm und das Immunsystem
FĂŒr die körpereigenen AbwehrkrĂ€fte ist der Darm das wichtigste Organ. Hier finden sich circa 80% unseres gesamten Immunsystems wieder. Diese Abwehrtruppen in Form von Immunzellen, Lymphknoten und in Darm-Zellen verstreuten Lymphozyten werden auch als âdarmassoziiertes Immunsystemâ oder GALT (âgut associated lymphoid tissueâ) bezeichnet. Ihre Hauptaufgabe ist es, Erreger, die in den Körper gelangen, zu erkennen und unser Inneres vor ihnen zu schĂŒtzen.
Neben dem darmassoziierten Immunsystem spielen aber auch die Bakterien der Darmflora eine wichtige Rolle bei der Immunabwehr. Sind sie im Gleichgewicht, bilden sie in der Darmschleimhaut gewissermaĂen eine schĂŒtzende Barriere. Diese hindert potenziell krankmachende Keime daran, sich an der Darmwand anzusiedeln.
Das ist auch der Grund dafĂŒr, warum nach der Einnahme von Medikamenten die InfektanfĂ€lligkeit oft erhöht ist. Denn unsere Darmflora wird von einer Reihe an Medikamenten â insbesondere Antibiotika â aus dem Gleichgewicht gebracht. So wirksam diese gegen Krankheiten auch sein mögen, so zerstören sie doch gleichzeitig auch unsere guten Bakterien im Darm â und schwĂ€chen dadurch unser Immunsystem.
Der Darm und die Psyche
Die Forschung um die Verbindung von Darm und Gehirn ist so komplex, dass sich ein eigenes wissenschaftliches Feld darum gebildet hat. Die Neurogastroenterologie gehört aktuell zu den wohl spannendsten Forschungsgebieten rund um den menschlichen Körper. Sie befasst sich damit, welche Auswirkungen unser Gastrointestinaltrakt â und der Darm im Speziellen â auf unsere Psyche, Emotionen und Gedanken haben. Eine Reihe von Studien mit MĂ€usen legt nĂ€mlich folgende Vermutung nahe: Der Zustand der Darmflora und die Bakterienvielfalt dort haben möglicherweise einen bedeutenden Einfluss darauf, wie anfĂ€llig der Organismus fĂŒr Stress, AngstzustĂ€nde und sogar Depressionen ist.
Eine enge Verbindung zwischen Darm und Gehirn ist vor allem deshalb naheliegend, weil beide Organe sozusagen aus dem gleichen Stoff gemacht sind. In der embryonalen Entwicklung teilt sich ein und derselbe Zellhaufen in zwei Teile und wird in weiterer Folge vom Bauch bzw. Kopf umschlossen. Des Weiteren findet sich in unserem fertig entwickelten Darm ein Nervensystem, das jenem im Gehirn zum Verwechseln Ă€hnlichsieht. Dieses enterale oder enterische Nervensystem wird deshalb gerne auch als âBauchhirnâ bezeichnet. Es kann zwar nicht in gleicher Form denken wie unser Kopfhirn, steuert aber in derselben Weise zahlreiche Prozesse rund um die Verdauung, die Immunabwehr und vermutlich auch die Psyche.
Die beiden Steuerungszentralen stehen aber trotzdem in regem Kontakt miteinander. Ăber die âBauch-Hirn-Achseâ kommuniziert das mittlere Stockwerk mit der obersten Etage und umgekehrt. Was der Darm unserem Gehirn so erzĂ€hlt, bekommen wir zum gröĂten Teil gar nicht bewusst mit. Vermutet wird aber, dass die GesprĂ€chsinhalte sich auch in unserer emotionalen Verfassung widerspiegeln könnten. Ist das tatsĂ€chlich der Fall, könnte dieses Wissen die Behandlung von psychischen Beschwerden grundlegend revolutionieren.
UnterstĂŒtzung fĂŒr den Darm
Dass der Darm eine unglaublich wichtige Funktion in unserem Körper ĂŒbernimmt, wird mittlerweile immer klarer. Aber wie können wir nun sicherstellen, dass er ĂŒber alles Notwendige verfĂŒgt um seine vielfĂ€ltigen Aufgaben optimal zu erfĂŒllen? Neben einer gesunden ErnĂ€hrung â mit viel GemĂŒse und Obst, Vollkornprodukten und ausreichend FlĂŒssigkeit â leisten bestimmte Lebensmittel einen zusĂ€tzlichen Beitrag dazu, unsere Darmflora in Schwung zu halten und auch in Belastungszeiten volle Leistungsbereitschaft zu garantieren.
Lebendkulturen, wie sie zum Beispiel in Naturjoghurt enthalten sind, können bis tief in den Darm vordringen. Dort wirken sie sich positiv auf die Darmschleimhaut und die Laktose-Verdauung aus. Weil sich solche Keime aber nicht dauerhaft im Darm ansiedeln können, mĂŒssen sie regelmĂ€Ăig ĂŒber die Nahrung oder in Form von NahrungsergĂ€nzung zugefĂŒhrt werden. Daneben gibt es auch prĂ€biotische Lebensmittel, die auf Ă€hnliche Weise förderlich fĂŒr die Darmgesundheit sind. Hier handelt es sich um spezielle Nahrungsbestandteile, die schwer verdaulich sind und daher unbeschadet bis in den Dickdarm vordringen. Diese Ballaststoffe dienen den guten Darmbakterien als âFutterâ und fördern so deren AktivitĂ€t und Wachstum.
Als Faustregel gilt: Je gröĂer die Vielfalt unserer ErnĂ€hrung, desto besser auch die Bakterienvielfalt unserer Darmflora. Eine eintönige ErnĂ€hrungsweise bietet dem Darm nicht genĂŒgend Abwechslung und ein ĂbermaĂ an Zusatzstoffen (z.B. in Fertigprodukten) kann die DiversitĂ€t des Mikrobioms noch zusĂ€tzlich einschrĂ€nken.
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